Monate ist es her, dass auf der Matte des AC Lichtenfels gerungen wurde. Das bedeutete für viele der Lichtenfelser Bundesligaathleten einen nie dagewesenen Einschnitt ins Training. Seitdem hieß es abwarten und hoffen. Hoffen, dass überhaupt wieder ein gemeinsames Training und damit ein Stück Vereinsleben möglich werden würde, hoffen dass es einen baldigen Weg zurück auf die Matte und zum Kontaktsport geben würde und hoffen, dass bis Herbst wieder so viel Routine zurückgekehrt sein würde, wenigstens die Saison als sportliches Ziel zu haben.
Wie genau es um die Mannschaftskämpfe im Ringen steht, ist aber noch unklar. Einige Landesverbände haben bereits angekündigt, ihre jeweiligen Runden in diesem Jahr zu pausieren, allen voran Nordrhein-Westfalen, die sich schon im April festlegten. Was auf der einen Seite Planungssicherheit für die betroffenen Vereine bedeutet, birgt jedoch gleichzeitig die Gefahr, eine vorschnelle Entscheidung zu treffen. Für die Bayerischen Ligen und den Deutschen Ringerbund, der die bundesweite erste Liga veranstaltet, steht ein endgültiger Entschluss noch aus. Doch auch wenn die Auflagen und Bestimmungen zusehends gelockert werden, rückt der Saisonstart immer näher. Daher soll bis Ende des Monats eine Entscheidung fallen. Um diese zu treffen, wurden in einer virtuellen Bundesligakonferenz mit Vertretern aller Vereine verschiedene Szenarien und Faktoren diskutiert.
„Wir haben drei Felder“ fasst Britta Beier, Vorstand des AC Lichtenfels, die Einflusskriterien zusammen. Dabei nennt sie die Aktiven, Heimkämpfe und Auswärtskämpfe. Das vierte Feld, Probleme bei der Finanzierung, klammert Sie für den AC Lichtenfels aus. „Zum Glück bleiben alle Sponsoren dabei“ berichtet sie. Wenngleich es in Krisenzeiten nicht möglich war, neue Sponsoren zu akquirieren oder auch nur an Termine mit möglichen Partnern zu kommen, betont Sie, dass sich der AC in dieser Hinsicht glücklich schätzen kann. „Bei anderen Vereinen sieht es da ganz anders aus“.
Was ihr allerdings schlaflose Nächte bereitet, ist die Organisation einer Saison. „Klar, Veranstaltungen, auch im größeren Rahmen, sollen wieder möglich sein“ räumt sie ein, dennoch drohen diese an den Auflagen zu scheitern. Betrachtet man die Halle des AC seien „ungefähr 80 Personen“ zugelassen, berichtet Daniel Luptowicz, Mannschaftsführer des AC. „Mit zwei Heimmannschaften, den Gästen, Betreuern, Ordnern und Personal“ wäre die Halle dann voll. Da auf die Einnahmen bei Heimkämpfen jedoch nicht zu verzichten sei, müsse man in eine größere Halle wechseln. Die Idee, Kämpfe ohne Publikum zu veranstalten und die Ringsportbegeisterten über Livestreams am Geschehen teilhaben zu lassen, wurde aus diesem Grund schnell wieder verworfen. In einer größeren Halle könnte man also genug Personen unterbringen, dass sich eine Saison finanzieren ließe, doch auch dort müsste ein stündlicher Luftaustausch gewährleistet sein. „Wir alle wissen, wie es in einer Halle nach einem hitzigen Kampfabend ist“ gibt Luptowicz zu bedenken, um die Zuschauer im Winter nicht stündlich aus der Halle zu bitten, müsste die Halle also voll klimatisiert sein. Hinzu kommen weitere Auflagen, beispielsweise die Desinfektion der Matte nach jedem Aufeinandertreffen, die den Ablauf erschweren.
Auch Auswärtskämpfe werfen Fragen auf. Wie kommen die Sportler zu den Kämpfen? Die generelle Frage, wie es mit Sportlern aus dem Ausland aussieht, schließt sich an, merkt Heiko Scherer, Betreuer der Bundesligastaffel, an. Selbst wenn die Covid-19 Fallzahlen in Deutschland in letzter Zeit positiv aussahen, ist das nicht weltweit der Fall. Müssen Aktive aus dem Ausland nach der Einreise in eine zweiwöchige Quarantäne? Lassen die jeweiligen Landesverbände Sie überhaupt ausreisen? Wird es überhaupt Flüge nach Deutschland geben?
Hier beginnt das dritte Themenfeld, alles rund um die Sportler selbst. Der internationale Ringerbund UWW hat für die letzten Monate des Jahres drei Weltmeisterschaften angesetzt, die unter normalen Umständen vor der Saison stattgefunden hätten. Nicht nur durch die Wettkampfvorbereitung fehlende Athleten, sondern auch Ausreiseverbote zur Minimierung des Infektionsrisikos in den Nationalkadern, werden auf viele Mannschaften personellen Einfluss haben. Ähnliches betrifft auch Athleten, die nicht Teil eines Nationalkaders sind. Einige Aktive werden von ihren Arbeitgebern keine Freigabe für Wettkämpfe erhalten, diejenigen, die ringen und anschließend in Quarantäne kommen, sorgen damit unter Umständen für einen Kündigungsgrund. Neben all der Leidenschaft, mit der die Aktiven der ersten Liga für ihren Sport leben ist und bleibt das Ringen für die allermeisten kein Vollprofisport. Die Sportler mit zwei Wochen Vorlauf für die Mannschaftskämpfe und damit einen guten Teil des Jahres in Quarantäne zu setzen ist schlichtweg nicht möglich – selbst flächendeckende Tests mit anschließender, zweitägiger Isolation vor jedem Kampf wäre für den Ringsport nicht verhältnismäßig.
Angesichts der zahlreichen Fallstricke wurde also auch die Organisation der Saison an sich hinterfragt. Bereits jetzt ist der Saisonstart ans Äußerste nach hinten verschoben. „Das es keine ‚normale‘ Saison 2020 geben wird“, so Britta Beier, „sollte mittlerweile jedem bewusst sein“. Vom Ringerbund kam also die Alternative, eine Saison in Form eines Mannschaftsturnieres an ein oder zwei Tagen abzuhalten. Eine Idee, die auch die Führungsriege des AC nicht vorschnell abschmettern will. Was die Rahmenbedingungen angeht sei ein derartiges Szenario derzeit „eher vorstellbar“, erklärt die Vorsitzende des AC Lichtenfels „in dem Fall könnte man die Mannschaft zwei Tage vorher testen“. Wenn das der Weg ist, um 2020 überhaupt zu ringen, ginge das für den AC Lichtenfels in Ordnung. „Wir wollen ringen, schließlich sind wir ein Ringerverein“ fasst die Lichtenfelserin zusammen.
Bei allen Bestrebungen, die Bundesligastaffel des AC in diesem Jahr antreten zu lassen, geht es bei der Entscheidung aber um mehr als das Sportliche. „Wir haben eine moralische Verantwortung“, so Beier, „wir verlangen, dass die Sportler für uns ringen, dass sie Gewicht machen“ und gerade da seien sie besonders anfällig für Infektionen. Manchmal müsse man die „Sportler vor sich selbst schützen“ erzählt sie weiter. Man dürfe nicht riskieren fahrlässig einen Corona-Ausbruch zu verursachen. Diese Verantwortung trage man dem Sport, den Ringern aber auch den Sponsoren gegenüber. Zwar wird seit jeher beim Wiegen vor jedem Mannschaftskampf auf dem Protokoll bestätigt, dass sich alle Sportler in einwandfreier gesundheitlicher Verfassung befinden, doch nimmt das das hinsichtlich der weltweiten Pandemie eine ganz andere Dimension ein. Was als Kontrollmechanismus gestattet, Sportler mit Hautkrankheiten vom Wettkampf auszuschließen, bedeutet nun, ohne flächendeckende Tests, neben persönlicher Haftbarkeit der Verantwortlichen eine ganz andere gesundheitliche Gefahr. Und diese geht von etwas aus, von dem „die Leute teilweise selbst nicht wissen, dass sie es in sich tragen“, so Luptowicz. Umso gravierender, da in der Liga Ringer aus der ganzen Welt zum Einsatz kommen, die auf die Kampfgelder angewiesen sind.
Sollte es schlussendlich darauf hinauslaufen, dass heuer keine Mannschaftskämpfe stattfinden – ein Szenario, das ebenfalls in Betracht gezogen werden muss – wäre zumindest nicht mit großem Schaden für die Mannschaft zu rechnen. „Wir wollen den Aktiven ein sportliches Ziel geben“ so Scherer, doch werden „die Neuzugänge bei uns bleiben“, selbst wenn sie erst 2021 zum Einsatz kämen. Mittlerweile sei den Aktiven einfach wichtig „zu wissen, woran man ist“. Mehr Bedenken haben die Verantwortlichen um die Jugend, die in den Monaten vor der Pandemie seit langem wieder richtig Fahrt aufnahm. Diesen Aufwind durch Trainings-Stopps zu bremsen war hart genug, doch wurde in den letzten Wochen die Angst größer, den Nachwuchs, an andere Sportarten zu verlieren, da diese wieder möglich sind. Nach den Lockerungen Anfang der Woche und mit der Genehmigung, wieder auf der Matte zu trainieren, heißt das wenigstens eine Sorge weniger für Britta Beier, Heiko Scherer und Daniel Luptowicz.
Text: Darius Mayek
Bilder: Gunther Czepera